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Die Kunst des Urgeschmacks -
Peter Kubelka und Johanna Meier

In: frame the state of the art 20, Sommer 07, Servus Austria, S.194-196

Die Einsicht, dass Kochen die Mutter aller Künste ist, verdankt sich natürlich einem Österreicher. Allerdings beruht das weniger auf der Tatsache, dass unentwegt neue Esslokale in Wien und auf dem Lande eröffnet werden und im ständigen Konkurrenzdruck andere wieder zusperren müssen. Heute wagt es keine ernsthafte österreichische Zeitung, ohne Gourmet-Kritiker auszukommen. Deren Niveau erreichen die Kunstkritiker schon lange nicht mehr. Die Gourmetkritik hat global die Kunstkritik überholt, seit alle Spielarten der Regionalküche und des Crossover durchprobiert worden sind. (1) Das Kochen als Weg der Welterklärung ist die singuläre Leistung eines in Taufkirchen an der Pram (Innviertel/ Oberösterreich) aufgewachsenen Wieners. Seine Sicht der Dinge benötigt keinen doppelten Boden der so typischen Ironie dieses von Bösartigkeiten strotzenden Landes, sondern den klaren Kopf eines Beobachters und Ergründers von Ursprüngen. Peter Kubelka (*1934) hat alles erreicht, und niemand neidet es ihm. Allein das ist schon ein Kunststück, das kaum jemand anderem seiner Landsleute gelingen könnte.

Dass das Kochen auch die Mutter aller Wissenschaften ist, hat Österreicher naturgemäß weniger interessiert als Kochforscher in anderen Ländern. Es gibt nicht nur Koch-Ateliers, sondern auch Geschmack-Labors (z.B. das „elBulli“ von Ferran Adria in Barcelona und anderen Orten in Spanien) und Kochuniversitäten, wo man in alchemistischer Manier mit Bunsenbrenner neue chemische Verbindungen formt (wie im CIA, dem „Culinaric Institute of America“). Die naturwissenschaftlichen Ansätze, wie jene molekulargastronomischen Experimente der Forscher in Bremerhafen, (2) scheinen den Österreichern zu unsinnlich.

In seiner Jugend war Kubelka, nachdem er vom Land in die Großstadt gezogen war, sowohl Wiener Sängerknabe (1944-47) als auch österreichischer Juniorenmeister im Diskuswerfen (1953), ein musikalischer auf alten Blasinstrumenten spielender Querkopf mit eigenem Ensemble („Spatium Musicum“), der auch Judoka war, wovon seine Statur heute nur mehr wenig verrät. Berühmt ist er mit einigen wenigen Filmen in den fünfziger Jahren geworden. Seine „Metrischen Filme“ bilden eine Grundlage für den strukturellen Film, der in den 60er und 70er Jahren zu einer weltweiten Bewegung in der filmischen Avantgarde führte. Mosaik im Vertrauen (1955), Adebar (1957), Schwechater (1958) und Arnulf Rainer (1960) sind heute Klassiker der Filmgeschichte. Unsere Afrika-Reise (1966) setzte Maßstäbe für den Tonfilm. In seiner theoretischen Arbeit definierte er die Grundlagen des Films als autonomes künstlerisches Medium. Er hat das Filmmuseum in Wien und die Anthology Film Archives in New York mitgegründet.

Kubelka wurde mit den höchsten Ehren ausgezeichnet, die das Land einem Künstler gewähren kann, vom Großen Österreichischen Staatspreis (1980, Hermann Nitsch hat ihn ein Viertel Jahrhundert später, nämlich erst 2005 bekommen!) über das Goldene Verdienstzeichen des Landes Wien (2002) bis zum Ehrenzeichen für Wissenschaft und Kunst mit der Ernennung in die auf achtzehn inländische Künstler beschränkte Kunstkurie (2005). Seit 1980 unterrichtete er als ordentlicher Professor im Ausland, an der berühmten Städel-Schule in Frankfurt in einer erstmals eigens für ihn geschaffenen Fächerkombination, nämlich auf einer Stelle für „Film und Kochen als Kunst“. Seit seiner Emeritierung bereist er die Welt und hält vor einem meist jugendlichen Publikum seine legendären Vorträge, die von denen, die nichts verstehen, als Performances bezeichnet werden, von den anderen als Analysen der Welt für den Hausverstand.

Die sich in ihrer Selbstwahrnehmung sonnenden österreichischen Künstler wissen es nicht, aber Kubelka ist der einzige wirklich global bekannte Künstler des Landes. Wenn sie es wüssten, würden sie einschränkend relativieren, dass er es ja „nur“ als Filmer sei und das mit dem Kochen sei nicht so ernst zu nehmen. Aber sein Ruhm wäre nicht allein durch seine Leistungen als Pionier des Films verständlich. Und das mit dem Kochen ist den von einem hohen Durchschnittsniveau ihrer Mahlzeiten verwöhnten Österreichern allzu selbstverständlich, als dass sie die Brisanz dieser Idee begreifen könnten. Er hat nicht nur den Film als Kunst verstanden, oder das Kochen als Mutter aller Künste, sondern diesen Begriff „Kunst“ wie einen Zauberstab benützt. Wörtlich sagt er, „Kunst ist ein Werkzeug, das denjenigen weiterbringt, der auf seiner Stelle unzufrieden ist“. Kunst wird demnach nicht nur mit Werkzeugen hergestellt, sondern ist als solche für ihn eine Art Maschine der Selbst- und Weltverbesserung, an welche er die höchsten Maßstäbe legt. Das birgt nicht weniger Sprengkraft als das provokante Diktum „Jeder Mensch ist ein Künstler“ von Joseph Beuys. Dazu kommt, dass er die Philosophie oder die Religion von ihrem Anspruch auf Wahrheit erlöst, womit ihr aggressives Potenzial entschärft und verwandelt ist in einen ästhetischen Genuss. Vielleicht liegt das daran, dass er sich als einziger seiner „Kollegen“ für die ganze Welt interessiert, er alle Kontinente bereist, bis heute immer neugierig auf den ethnologisch sondierten Boden, auf dem andere Möglichkeiten der Weltwahrnehmung gedeihen oder zumindest in Resten rekonstruierbar geblieben sind. Dort in den frühen Stufen der menschlichen Kultur liegt für ihn alles beisammen, was sich im Laufe der Jahrtausende auseinander differenziert hat.

Er gerät nicht ins Visier der mißgünstigen Gesellschaft und ruft keine Neider auf den Plan, weil er nichts zu verkaufen hat, er für den Kunstmarkt unbekannt geblieben ist, keine Galerie sich um ihn bemühen könnte, und die zwei Bücher über ihn (3) kaum zu erhalten oder vergriffen sind. Filmaufnahmen seiner Vorträge bereiteten ihm Unbehagen, weil sie seiner Einsicht widersprechen, dass alles seinen Ort und seine Zeit hat, die nicht konservierbar und zu wiederholen sind. Nicht zu vergessen neben allen seinen Talenten sind seine Heiterkeit und sein argloser Humor, sein soziales Talent, das ihn zur Freundschaft befähigt und zum sechsfachen Vater verschiedener Mütter gemacht hat. Bestimmt hat es noch nie eine Antrittsvorlesung gegeben wie damals in Frankfurt, wo sich alle Zuhörer ausnahmslos vor Lachen gebogen haben.

Die Sprengkraft seiner Aussagen aber ist weitgehend unbekannt geblieben, weil sie sich nicht in eine Disziplin, in ein spezialisiertes Fach einordnen lassen. Meist wird nur seine Filmtheorie und seine Küchenphilosophie erwähnt, aber das bedeutet eine arge Verkürzung seiner Gedanken. Man sollte nicht vergessen, dass seine neueren Vorbilder von Heinrich von Kleist und bis zu Ludwig Wittgenstein reichen, er aber in der Philosophiegeschichte und im allgemeinen Fortschritt naturwissenschaftlicher Erkenntnisse eher mehr oder weniger blödsinnige Dichtungen von Propheten sieht, als Wahrheiten. Seine Lieblinge sind die Vorsokratiker. Kubelkas Desinteresse für die Kunst der Gegenwart ließe das Vorurteil zu, er gebärde sich als Reaktionär, doch verbietet sein klares Urteil diesen Schluss. Die Frage, ob auch er es fatal finde, dass die Venus von Willendorf im Naturhistorischen (statt im Kunsthistorischen) Museum aufbewahrt werde, weil sich darin das pseudoökologische Denken manifestiere, die Kunst sei biologistisch-automatisch aus der Natur entstanden, verneint er. Er sei durchaus dafür, dass diese Werke in diesem Kontext aufbewahrt werden, weil man sie auch unter diesem Aspekt der Ausgrabungen gefunden hat und der Kunstbegriff hier nie eine Rolle gespielt habe - aber er fügt dazu, dass selbstverständlich auch das ganze gegenüberliegende Kunsthistorische Museum ins Naturhistorische verfrachtet gehöre.

Die polarisierenden Streitereien der Ethologie über die grundsätzlichen oder vermeintlichen Unterschiede von Mensch und Tier erscheinen ihm müßig. Es gebe diesen Unterschied nicht. Wer Tiere beim Fressen beobachte, müsse feststellen, dass sie „kochen“, d.h. verschiedene Pflanzen wie nach Rezepten miteinander in einer bestimmten Reihenfolge mischen. Beobachtet hat er das bei einem Freund, einem Esel in Prinzendorf, im Schlossbezirk von Hermann Nitsch. Wenn ein Esel kochen kann, dann können Tiere selbstverständlicherweise auch Kunst produzieren, weil es auch hier um die Zusammenführung von Materialien, um die Schaffung von „Metaphern“ gehe. Entscheidend für ihn dürfte das Leben der Tiere in einer, wie wir glauben, ständigen Gegenwart sein.

Seine Aussagen mögen für Intellektuelle altbacken wirken, wenn man sie isoliert und in sie die eigenen Beschränktheiten projiziert. Aber er ist geduldig und nimmt sich die Zeit, den großen Bogen seiner Weltschau für die Zuschauer zu spannen, einer Sicht, die vom Fingernagel bis zum lieben Gott reicht. In seinem Denken fehlt das Konzept des modernen Künstlers, er bewundert seine Kollegen nicht, sondern hält sie für Opfer des sterilen Kunstbetriebs, in welchem das Publikum sich gar nicht für ihre Werke interessiert. Für sein Denken ist ein Steinzeithammer allemal wichtiger als die größten Werke der modernen Kunst. So ein Hammer ist eine Skulptur, ein Werkzeug, wie ihm die Kunst ein Werkzeug ist, das die jeweilige Lage verändert. Da liegt ein Zeitbegriff verborgen, der im Film a priori da ist, der aber wie ein kosmischer Tanz alle Bewegungen der Welt einschließt oder bewußt macht. Beobachtet er seine Mitmenschen, erfährt er ihre persönlichen Gesten als eigene Sprache. Ein Schritt von hier nach da kann bedeutsamer sein, als alle statischen Kostbarkeiten, weil er jemanden weiterbringt. Heraklits „Alles fließt“ nimmt Kubelka ernst. Das harmoniert mit dem österreichischen Hang für das Transitorische, die Musik und die Bühne. Eine Performance oder Aktion ist nur sinnvoll an einem bestimmten Ort zu einer bestimmten Zeit und verliert das Wesentliche in der Konservierung eines Videos. Dem Österreicher ist deshalb das Vergängliche wichtiger, als das Fixiert-Denkmalhafte. Dass dieses Land keinen bedeutenden Beitrag zur bildenden Künste der Avantgarde des 20. Jahrhunderts geleistet hat, beruht nicht zuletzt auf dem stets retrospektiv-sehnsüchtigen Blick nach den größeren Zusammenhängen, ganz gleich, ob man sie bei den Amazonas-Indianern und Aborigines (wie Kubelka) oder im Barock (wie Nitsch) sucht.

Vielleicht sollte vor allem in dieser Richtung das Österreichische gesehen werden, obwohl selbst Robert Menasse, der bekannteste Analytiker der österreichischen Befindlichkeit und damit Opfer des landesspezifischen Traums der Selbstergründung die Sinnhaftigkeit solcher Suche nach dem typisch Österreichischen bezweifelt hat: „Es bringt keinen praktischen Vorteil, wenn man Österreich versteht.“(4) Aber auch er wiederholt seine Suche nach dieser Essenz immer wieder. In der Wiederholung muss man nicht nur ein zwanghaftes Ritual sehen, sie ist auch ein Zeichen für unsere oszillierende Existenz.

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Nicht von der hehren Kunst, sondern vom Essen leben wir. Können Kulturen, in denen die Küche stagniert, deren Menschen für das Essen nur wenig übrig haben, demgemäß nur schlechte Kunst, wenn überhaupt eine hervorbringen? Das wäre allerdings etwas verkürzt gedacht. Einerseits beruht diese These auf der Abwertung des einst so wichtigen Geschmacks, der seit der Avantgarde von Kunst abgekoppelt worden ist. Andererseits könnte man natürlich auch umgekehrt argumentieren, dass nämlich in einem Land, wo die besten Kräfte sich dem Kochen und Speisen, nicht unwesentlich geringere Talente sich der Bühne widmen, keine Energie mehr für bildende Kunst  aufgebracht werden kann.

Auch die Hauben- und Vielsterne-Köche, die nicht generell den Urzustand der Gesellschaft wie Kubelka zurückersehnen, liebäugeln mit dem Kunstbegriff. Eine der großen Köchinnen unserer Zeit, Johanna Maier, mittlerweile als ein Star nahezu omnipräsent, hat erkannt, dass die Formen ihrer so schönen und von den Gästen oft fotografierten Gerichte letztlich nur oberflächliche Aspekte berühren, selbst wenn sie künstlerische Formen sind. (5) Wird mit Butter-, Schokolade- oder Zuckerskulpturen oder fernöstlichen Gemüseschnitzereien zwar visuelle Kunst hervorgebracht, gehe dennoch der Sinn der Küche verloren. Zuviele auch durchaus passende Zutaten verderben den „Urgeschmack“. Kochen bedeutet von daher die Verbindung von transitorisch-vergänglichen Genüssen mit der Utopie eines den Materialien eigenen Geschmacks, der nicht überlagert, sondern als Schatz gehoben werden sollte.

Kubelka und Maier peilen die Fülle eines Urzustandes der (Ess)kultur an, der am Beginn der Geschmackskultur liegt und ein Signum für das Vergängliche ist, dem nur in der (nicht automatischen sondern kreativen) Wiederholung zu entgehen ist. Wenn sich österreichische Künstler spielerisch, doppelbödig, voll Sprachwitz und Musikalität wie Schausteller geben, dann riskieren sie zugleich, jenseits des Landes unverstanden zu bleiben. Es ist auch schwer zu begreifen, dass das Wesentliche der Welterklärung das Vergängliche ist. Von daher rührt die als typisch Wienerische Unart gepriesene Koppelung von Wein und Tod: „Es wird ein Wein sein, und i werd nimma sein“.

Nur in der Urzeit lebte man wie die Tiere in der Gegenwart. Diese Behauptung verdankt sich keiner Projektion ursprünglichen Bewußtseins, sondern der Beobachtung, dass durch Aufhebung der späteren Differenzierungen und Spezialisierungen alles dichter miteinander zusammenhängt. Kubelka erläutert das am Beispiel der Musik, Bruckner habe nicht mehr dirigiert, wogegen Machaux im 14. Jahrhundert sogar die Texte selber geschrieben habe, und der Hirte auf einer noch früheren Stufe hat sich sein Pfeiferl selbst gemacht und es dann wieder weggeworfen. Musik war nicht vom Leben abgekoppelt, sondern z.B. in den Arbeitergesängen, beim Ernten und Jagen, ständig präsent.

Die Behauptung, Österreich sei ein Museum, greift entschieden zu kurz.(6) Die Rückbesinnung auf einen utopischen Urzustand umgeht das historische Bewußtsein. Die Moderne zeichnet sich vor allem durch Zeitzugewinn aus.(7) Aber die gewonnene Zeit wird aufgefüllt mit Unsinn. Der Zustand, in welchem jeder Ort und jede Zeit erfüllt von allem war, wird gerne als magisch-primitiver diskreditiert. Ob es nostalgisch-romantisch ist und wünschenswert, dahin zurückzukehren, ist nicht der Punkt. Die in der Küche gewonnene Einsicht, dass jede Verspätung und jedes Zuviel oder Zuwenig den Geschmack verdirbt, d.h. eine derartige Pfuscherei den Genuss der Speisen unmöglich macht, bedeutet verallgemeinert das Wissen um den jeweils einzig möglichen Zeitpunkt. Ewige Werte verderben alles. Diese Einsicht verführt die österreichischen Künstler zu ihrer Schausteller-Existenz, zu ihren „Körperpassformen“ (Franz West), zu „Minutenskulpturen“ (Erwin Wurm), ganz allgemein zu einer Lust auf den Schein. Im Lichte der großen Theorien handelt es sich dabei um Leichtgewichte, ernsthaft besehen, ist damit kein Staat zu machen. Aber es gibt nichts wichtigeres als den gelungenen Witz, der tiefe heilige Ernst hat aus der Welt ein Jammertal gemacht.

Sieht man wie Kubelka die „Speisenbereitung“ als „bildende Kunst“, verändert die Welt ihre Erscheinung. Berühmt sind Kubelkas Rezept-Gedichte, wie die Hymne an das Wienerschnitzel (1974) oder die Beschreibung der Wurst. Sie ist eine Art „Idealwesen“, ein kulturell gestaltetes Objekt ohne Fell, Knochen, Knorpel – „ein Tier, von dem nur jene Körperteile existieren, die für unsere Speisung paradiesisch“ seien. Was für ein Potential liegt in seiner Feststellung: „Das Fleisch ist Wort geworden“. Es bezeichnet auch die Wurzel des Denkens in der Küche.

Alle mehr oder weniger den Tatsachen entsprechenden Klischees der abstraktionsfernen, immer wieder zum barocken Expressionismus zurückkehrenden, dem schönen Jugendstilschein huldigenden Stilelementen bewegen sich auf der Oberfläche. Mag das politsche Österreich lange die jüngere Vergangenheit ausgeblendet haben, dann liegt dem vielleicht nicht so sehr die Kunst des kollektiven Verdrängens zugrunde, als die Konzentration auf das Jetzt. Künstlerisch diese Versunkenheit und auch Selbstbezüglichkeit umzusetzen, ist nicht eine Frage bestimmter Stilmerkmale. Es kann auch ein ganz einfacher Schriftzug an der Museumswand sein, der dies veranschaulicht: in diesem Augenblick (Heinz Gappmayr). Das Kochen und das Sprechen sind insofern analoge Tätigkeiten, als sie das Überleben sichern und aus der Komposition von Elementen gemäß bestimmten Regeln entstehen. Das der Analyse des Kochens verwandte österreichische Sprachbewußtsein kulminiert im „Sprachspiel“ Ludwig Wittgenstein, auch philosophischer Vorläufer der „Wiener Gruppe“. Im Gegensatz zum manchmal barocken Größenwahn und der Sehnsucht nach dem Gesamtkunstwerk, verrät gerade Wittgenstein die Meisterschaft der kleinen Form.  Das Arbeiten nicht mit Inhalten, sondern mit Sprache bildet das Instrumentarium bei vielen österreichischen Dichtern bis zur Gegenwart, von Franzobel bis Elfriede Jelinek.

Aber es geht nicht um die Katalogisierung großer Namen. Die Konzentration auf den gegenwärtigen Augenblick bewirkt immer das ephemere ästhetische Erleben. Daher rührt das sprachliche und filmische, das theatralische und vor allem musikalische Interesse. Wieviele Künstler dieses Landes lieben nicht nur die Musik, sondern sind darin aktiv tätig. Es bleibt von allem nichts als die Erinnerung und jeder Versuch einer Konservierung muss gerade an der Unwiederholbarkeit scheitern. Das Video und die CD erlauben das Abschweifen der Konzentration, das Ausschalten und die Pause und ersetzen die Originale nicht. Der Zwang zum Dabeisein kann ins Rituelle ausarten. Vielleicht haben Österreicher auch mehr als andere das Bedürfnis, dazuzugehören und dabeizusein. Im Zentrum dieser gesellschaftlichen Betriebsamkeit auch im Kunstbetrieb ist die große Leere, weshalb sie zur ständigen Selbstversicherung zwingt. Die wichtigste Kultur-Sendung des österreichischen Fernsehens sind deshalb die „Seitenblicke“, weil man hier sieht, was schon oftmals war. Kehrt man zur Charakterisierung des typisch Österreichischen und der Besonderheit österreichischer Künstler zurück, so erfüllt sich Kubelkas Utopie im Alltag. Es mag wohl sein, dass die bildende Kunst auf die Speisenbereitung zurückgeht. In ihrer Gegenwarts-Emphase stellt sie gleichermaßen heute das Ziel aller schaffensfrohen Kreativität dar. Die österreichische Kunstwelt mag teleologisch auf das gute Essen ausgerichtet sein, nicht nur auf Vernissagenfeiern, in der Kaffeehaus-Literatur und Gründung von Beisel-Gruppen, auf jeden Fall findet sich der Ursprung in der Küche.

P.S.:
So ist es längst an der Zeit, dass auch gefeierte Köche Kunstpreise bekommen. Ihre Menüs sind ohnehin schon teuerer als die Druckgrafik namhafter Maler auf Auktionen oder dicke Bücher - und ihr ästhetischer Gewinn ist oft mehr wert.

 

Anmerkungen:

1) Vgl.: Jeffrey Steingarten: Der Mann, der alles isst. Aufzeichnungen eines Gourmet. Rogner & Bernhard bei Zweitausendeins 2004
2) Maren Preiss: Kochen bei minus 180 Grad. In: Die Zeit Nr.41, 6. Oktober 2005, S.43
3) Christian Lebrat (Hg.): Peter Kubelka. Paris 1990; Gabriele Jutz und Peter Tscherkassky (Hg.): Peter Kubelka. Wien 1995; Peter Kubelka: Kochen, die älteste bildende Kunst. Essbare Niederschrift der Weltanschauung. Ein Gespräch von Heinz-Norbert Jocks. In: Kunstforum International Bd. 159, April-Mai 2002, S.92-109. Das von Peter Kubelka herausgegebene Kochbuch von F. G. ZenkerNicht mehr als sechs Schüsseln wird seit 2004 angekündigt. Das Gespräch des Autors mit Peter Kubelka fand am 12. September 2005  in Wien statt.
4) Robert Menasse: Das war Österreich. Gesammelte Essays zum Land ohne Eigenschaften. Suhrkamp, Frankfurt am Main 2005, S.414
5) Johanna Maier zum Autor am 1. Oktober 2005 in Filzmoos.
6) Menasse (Anm.4), S.262
7) Die Systematisierung der historischen Bewußtseinszustände von Jean Gebser (Ursprung und Gegenwart) kennt Kubelka nicht.

 

 

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